Stell dir vor, du stehst vor einer leeren Leinwand. Den Pinsel in der Hand, bereit, ein Kunstwerk zu erschaffen. Doch plötzlich überkommt dich ein Gefühl der Unsicherheit. Was, wenn das Bild am Ende nicht deinen Erwartungen entspricht? Was, wenn andere es lächerlich finden? Diese Angst vor dem Scheitern, vor dem Fehler, lähmt uns oft und hält uns davon ab, unser volles Potenzial auszuschöpfen.
Fehler – sie sind so präsent in unserem Leben. In der Schule, im Beruf, in Beziehungen. Oft werden sie als etwas Negatives betrachtet, als ein Zeichen von Schwäche oder Inkompetenz. Doch ist das wirklich so? Oder haben wir uns nicht vielmehr angewöhnt, Fehler zu fürchten, weil wir schon früh gelernt haben, dass sie bestraft werden?
In diesem Artikel möchte ich dich einladen, deine Sicht auf Fehler zu erweitern. Gemeinsam wollen wir erkunden, wie tief die Wurzeln unserer Fehlerangst liegen und wie wir sie überwinden können. Denn Fehler sind nicht unser Feind, sondern vielmehr unsere größten Lehrmeister. Sie sind der Kompass, der uns auf dem Weg zu persönlichem Wachstum leitet.
Wenn du tiefer in die Grundlagen des Growth Mindsets eintauchen möchtest, schau dir auch meine anderen Blogartikel an: „Growth Mindset – was ist das?„, in dem ich das Konzept grundlegend erläutere, und „Growth Mindset – weichgespülter Pädagogiktrend oder Grundlage für Zukunftsfähigkeit?„, in dem ich die praktische Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit unserer Kinder diskutiere.
Die Inhalte dieses Blogartikels:
ToggleDie Wurzeln der Fehlerangst
Stellen wir uns eine Welt vor, in der Fehler willkommen sind, eine Welt, in der jeder Misserfolg als eine wertvolle Lektion und als Schritt auf dem Pfad zur Weisheit gefeiert wird. Wie anders könnte unser Umgang mit Herausforderungen, unser Lernverhalten und unser inneres Wachstum aussehen? Doch die Realität sieht oft anders aus. Die Angst vor Fehlern wurzelt tief in unserer Psyche und formt unser Handeln und unsere Selbstwahrnehmung in vielen Bereichen des Lebens.
Frühe Prägungen
Erinnerst du dich an deine Schulzeit? An die roten „F“ in deinen Diktaten, die vernichtenden Kommentare unter deinen Gedichtinterpretationen, den Spott, wenn du im Sportunterricht wieder einmal nicht den Korb getroffen hast? Oder vielleicht an die Blicke deiner Mitschüler, wenn du eine Aufgabe nicht lösen konntest? Diese Erfahrungen haben tief in uns Spuren hinterlassen. Wir haben gelernt, dass Fehler meist unerwünscht sind, etwas, was wir nach Möglichkeit vermeiden sollten. Diese Botschaft erhalten wir nicht nur durch direkte Tadel, sondern auch durch subtilere Signale in unserem Umfeld.
Doch nicht nur in der Schule, auch zu Hause und später im Berufsleben werden wir oft mit unseren Fehlern konfrontiert. Ein zerbrochenes Glas, eine schlechte Note, aber auch ein unerwünschtes Verhalten oder eine unliebsame Charaktereigenschaft – Fehler werden häufig mit Strafe, Spott, Enttäuschung oder Liebesentzug beantwortet. Diese frühen Erfahrungen prägen unser Selbstbild und führen dazu, dass wir Fehler mit Gefühlen von Scham und Schuldgefühlen verbinden.
Der Schatten der Scham
Die Angst vor Fehlern ist häufig eng mit Schamgefühlen verknüpft. Scham ist eine tiefgreifende Emotion, die weit über einfache Verlegenheit hinausreicht. Sie ist eine allumfassende Erfahrung, die aus der Annahme entsteht, dass unser gesamtes Selbst aufgrund eines Fehlers als mangelhaft oder unzureichend bewertet wird. Im Gegensatz zu Schuld, die sich auf eine spezifische Handlung bezieht, richtet sich Scham also auf die gesamte Person. Diese Emotion kann lähmend wirken und uns daran hindern, neue Dinge auszuprobieren oder kreative Lösungen zu finden.
Indem wir die Wurzeln unserer Fehlerangst und die Macht der Scham verstehen, können wir beginnen, diese Muster zu durchbrechen.
Gesellschaftliche Erwartungen und Perfektionismus
Ein weiterer Grund für unsere Angst vor Fehlern ist der gesellschaftliche Druck nach Leistung und Perfektion. In Schulen werden gute Noten belohnt, Fehler in Tests und Klassenarbeiten rot markiert. Diese visuellen und emotionalen Marker verstärken die Vorstellung, dass Fehler schädlich sind und vermieden werden müssen. Diese Auffassung setzt sich im Berufsleben fort, wo Fehler oft als Zeichen von Schwäche oder als Karrierehindernis angesehen werden.
Hinzu kommt immer mehr, dass wir in Social Media ständig mit Bildern von makellosen Menschen und perfekten Leben konfrontiert sind. Dieser Druck kann dazu führen, dass wir unrealistische Erwartungen an uns selbst stellen und uns für jeden noch so kleinen Fehler verurteilen.
Der Perfektionismus ist wie eine Falle, aus der es schwer ist, auszubrechen. Denn wenn wir versuchen, alles perfekt zu machen, sind wir ständig unter Druck und haben Angst zu versagen. Diese Angst lähmt uns und verhindert, dass wir neue Herausforderungen annehmen und unser volles Entwicklungspotenzial entfalten.
Das Dilemma mit der Fehlertoleranz im schulischen Kontext
Das Schulsystem ist eine Arena, in der Fehler oft unter einem Mikroskop betrachtet werden. Lehrkräfte stehen dabei nicht nur vor der Aufgabe, Wissen zu vermitteln, sondern auch vor dem Druck, Fehlertoleranz in einer Umgebung zu fördern, die traditionell Fehler sanktioniert. Dieses Kapitel beleuchtet die Herausforderungen und Widersprüche, mit denen Lehrkräfte konfrontiert sind, wenn sie versuchen, eine Kultur der Fehlertoleranz in einem System zu etablieren, das oft das Gegenteil begünstigt.
Das Paradoxon der Fehlertoleranz vs. Fehleraversion
Lehrkräfte befinden sich in einem tiefgreifenden Dilemma: Aufgewachsen und ausgebildet in einem System, das Fehler als Zeichen des Versagens ansieht, treffen sie an Universitäten auf modernere pädagogische Ansätze, die eine positivere Sicht auf Fehler vermitteln. Trotz dieser fortschrittlichen Methoden bleibt das Bewertungssystem jedoch oft unverändert, das gute Noten belohnt und Fehler streng sanktioniert. Diese widersprüchliche Erfahrung setzt sich im Referendariat fort, wo Lehrkräfte unter dem Druck stehen, perfekt zu performen, um den Erwartungen der Seminarleiter zu entsprechen.
Nach der universitären Phase kehren sie in ein Schulsystem zurück, das nur langsam grundlegende Veränderungen annimmt. Sie sollen nun eine fehlertolerante Lernumgebung schaffen, während sie selbst noch von den Ängsten und dem Druck geprägt sind, den ihr eigenes Bildungserlebnis hinterlassen hat. Dieses Paradoxon stellt eine große Herausforderung dar: Wie können Lehrkräfte eine neue Haltung zu Fehlern entwickeln und vermitteln, wenn ihre eigene Prägung und das Umfeld oft noch den alten Mustern folgen?
Im Kreuzfeuer der Bewertungen
Lehrkräfte befinden sich ständig im Spannungsfeld der Bewertungen durch Schulleitungen, die häufig Leistungsziele und Ergebnisse priorisieren, durch Eltern, die das Beste für ihre Kinder erwarten, und durch die Schüler*innen selbst, die in einer leistungsorientierten Gesellschaft aufwachsen. Jede dieser Gruppen bringt ihre eigenen Vorstellungen und Wünsche mit, die oft nicht nur hohe Ansprüche stellen, sondern auch widersprüchlich sein können. Diese Dynamik setzt Lehrkräfte unter einen enormen Druck und erhöht erheblich das berufliche Stressniveau.
Darüber hinaus wirkt sich die Angst vor negativer Bewertung und die Sorge, den vielfältigen Erwartungen nicht entsprechen zu können, negativ auf das Selbstbild und die berufliche Zufriedenheit aus. Diese Belastungen können die pädagogische Freiheit einschränken und dazu führen, dass Lehrkräfte weniger innovative Lehrmethoden anwenden, um Konflikten oder Fehlern aus dem Weg zu gehen.
Mitgefühl und Selbstfürsorge als Basis für Fehlertoleranz
In einem Umfeld, das Fehler oft mit Versagen gleichsetzt, ist es ein revolutionärer Akt, sich selbst und anderen gegenüber Mitgefühl und Verständnis zu zeigen. Dieses Kapitel widmet sich den heilenden Kräften von Mitgefühl und Selbstfürsorge und deren essenzieller Rolle in der Entwicklung einer Haltung der Fehlertoleranz.
Die Kraft des (Selbst-)Mitgefühls
Mitgefühl – das tiefe Verständnis für das Leid eines anderen und der Wunsch, es zu lindern – ist ein mächtiges Werkzeug, nicht nur in unseren Beziehungen zu anderen, sondern auch in der Beziehung zu uns selbst. In Momenten des Scheiterns oder der Unzulänglichkeit können auf uns selbst gerichtete Mitgefühlsakte transformative Wirkung entfalten. Statt uns selbst für Fehler zu geißeln, ermöglicht es uns, unsere Misserfolge als universelle menschliche Erfahrungen anzuerkennen, die kein Zeichen von Schwäche sind. Und sogar im Gegenteil: Fehler und Misserfolge als unvermeidliche Schritte auf dem Weg des Lernens und Wachsens wertzuschätzen.
Indem wir anerkennen, dass Fehler natürlich und unvermeidlich sind, öffnen wir die Tür zu einem liebevolleren Umgang mit uns selbst und letztendlich auch mit anderen. Dies schafft eine Kultur, in der Lernen und Wachstum gedeihen können, frei von der Angst vor Versagen und den daraus resultierenden Schamgefühlen.
Selbstfürsorge: Ein Akt der Selbstachtung
Selbstfürsorge ist weit mehr als nur eine gelegentliche Auszeit mit einem heißen Bad oder einer schönen Tasse Tee. Sie ist eine fortlaufende Praxis der Selbstachtung und Selbstwertschätzung. In Bezug auf Fehler bedeutet Selbstfürsorge, sich selbst die Erlaubnis zu geben, nicht perfekt zu sein. Es bedeutet, sich Raum für Wachstum und Fehler zu lassen und dabei liebevoll mit sich selbst umzugehen.
Praktiken der Selbstfürsorge – wie Meditation, achtsames Atmen, regelmäßige Reflexion und das Setzen gesunder Grenzen – sind essenzielle Werkzeuge, um eine widerstandsfähige Grundlage für den Umgang mit Fehlern zu schaffen. Sie helfen uns, aus einem Zustand der Selbstkritik in einen Zustand der Selbstunterstützung zu gelangen, was fundamental ist, um in herausfordernden Zeiten Bestand zu haben.
Die Verbindung von Mitgefühl und Selbstfürsorge
Mitgefühl und Selbstfürsorge sind tief miteinander verwoben und bilden das Fundament einer fehlertoleranten Haltung. Wenn wir uns selbst mit Güte und Verständnis begegnen, erweitert sich unsere Fähigkeit, das Gleiche für andere zu tun. Diese Praxis bricht den Zyklus der Angst und Scham, der oft mit Fehlern einhergeht, und schafft eine Umgebung, in der sich sowohl Individuen als auch Gemeinschaften positiv entwickeln können.
7 praktische Tipps und Strategien für mehr Fehlertoleranz im Unterricht
Mitgefühl und Selbstfürsorge sind wichtige Bausteine für die Entwicklung von Fehlertoleranz als innere Haltung. Doch oft stellt sich die Frage: Wie lässt sich das in der Praxis umsetzen?
Dieses Kapitel bietet praktische Tipps und Strategien, die Lehrkräfte nutzen können, um eine Kultur der Fehlertoleranz zu fördern. Mit diesen Methoden lernen Lehrende und Lernende, Fehler nicht als Endpunkte, sondern als wesentlichen Teil des Lernprozesses zu verstehen. Indem wir eine Umgebung schaffen, die Offenheit für neue Erfahrungen unterstützt, legen wir den Grundstein für lebenslanges Lernen, das über traditionelle Bildungsziele hinausgeht.
Offener Umgang mit eigenen Fehlern
Ein kraftvoller Ansatz zur Förderung einer fehlertoleranten Atmosphäre im Klassenzimmer ist der offene Umgang der Lehrkraft mit eigenen Unsicherheiten und Fehlern. Lehrkräfte können eine Kultur des Lernens und der Neugier fördern, indem sie offen zugeben, wenn sie etwas nicht wissen. Sie können diese Momente nutzen, um zu demonstrieren, wie wertvoll lebenslanges Lernen ist und wie man sich fehlendes Wissen aneignet, beispielsweise durch Nachschlagen oder gemeinsames Forschen mit den Schülern. Dies vermittelt den Schülern, dass niemand alles wissen kann und dass das Streben nach Wissen ein kontinuierlicher, gemeinschaftlicher Prozess ist.
Zudem kann die Lehrkraft durch das Eingestehen und die Entschuldigung für eigenes fehlerhaftes Verhalten, wie etwa Ungerechtigkeit gegenüber einer Schülerin/ einem Schüler oder einem Fehler bei der Korrektur von Arbeiten, Authentizität und Respekt vorleben. Ein solches Verhalten kann explizite Entschuldigungen beinhalten, wie: „Es tut mir leid, dass ich dich gestern unterbrochen habe. Es ist wichtig, dass jeder hier die Chance bekommt, sich auszudrücken. Lass uns das Gespräch noch einmal aufgreifen.“
Durch solche Handlungen schafft die Lehrkraft eine Umgebung, in der Schüler*innen sich sicher fühlen, eigene Fehler zuzugeben und aus ihnen zu lernen. Dies fördert nicht nur individuelle Resilienz und Selbstvertrauen, sondern stärkt auch das gegenseitige Vertrauen und die Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden. Die Bereitschaft der Lehrkraft, eigene Fehler und Wissenslücken einzugestehen, demonstriert, dass Fehler integraler Bestandteil des Lernens sind und Mut zum Eingestehen dieser eine Stärke darstellt, die es zu schätzen gilt.
Indem Lehrkräfte eine Atmosphäre schaffen, in der Offenheit und Mitgefühl vorherrschen, ermutigen sie Schüler*innen, ohne Angst vor Urteilen oder Spott, Herausforderungen anzunehmen. Dies trägt maßgeblich zu einer Kultur bei, in der das Lernen durch Fehler als wertvoller Teil des Bildungsprozesses gesehen wird.
Fehler des Tages
Ein weiterer praktischer Tipp für mehr Fehlertoleranz ist die Einführung des „Satz des Tages“. Dabei wird täglich ein Satz an die Tafel geschrieben, der absichtlich Fehler enthält, die typisch für die Lerngruppe sind. Diese Fehler können entweder in anonymisierter Form von einem Schüler/ einer Schülerin stammen oder von der Lehrkraft konstruiert sein. Die Schüler*innen sollen nun den Fehler im Satz identifizieren und diskutieren. Gemeinsam überlegen sie, welche Rechtschreibregel missachtet wurde oder welche Rechtschreibstrategie angewendet werden könnte, um den Fehler zukünftig zu vermeiden.
Zusätzlich kann sich die Lehrkraft gezielt über gemachte Fehler freuen, um eine positive Lernatmosphäre zu schaffen. Sie kann zum Beispiel sagen: „Hey, toll, dass dieser Fehler passiert ist. Das gibt uns die perfekte Gelegenheit, gemeinsam zu verstehen, warum das passiert ist und wie wir es nächstes Mal besser machen können.“ Diese Herangehensweise hilft, eine positive Fehlerkultur zu etablieren, bei der Fehler als wertvolle Lerngelegenheiten gesehen werden.
Die Superhelden-Biographie
Von Carol Dweck stammt der Tipp, Superhelden-Biographien zu nutzen. Diese Methode hilft den Schüler*innenn, den Wert von Rückschlägen und Fehlern auf dem Weg zum Erfolg zu erkennen.
Lehrkräfte können ihre Schüler*innen dazu anregen, einen Superhelden oder eine historische Figur auszuwählen, deren Geschichte sie besonders anspricht. Die Aufgabe besteht darin, die Biographie dieser Persönlichkeit zu erforschen, insbesondere die Herausforderungen und Misserfolge, die diese Figur erlebt hat. Ziel ist es, herauszufinden, wie sie diese Schwierigkeiten überwinden und welche Lektionen sie daraus lernen.
Dieser Ansatz verdeutlicht, dass Erfolge oft durch vorherige Misserfolge geprägt sind. Jede Heldengeschichte beinhaltet Phasen des Scheiterns, aus denen wichtige Einsichten und Stärken gewonnen wurden. Lehrkräfte können die Schüler*innen ermutigen, ihre Ergebnisse in Form von Präsentationen oder kreativen Projekten mit der Klasse zu teilen. Dies fördert nicht nur das Verständnis für die Notwendigkeit von Fehlern auf dem Weg zum Erfolg, sondern stärkt auch die kommunikativen Fähigkeiten und das Selbstvertrauen.
Die Diskussion dieser Lebensgeschichten im Klassenzimmer schlägt eine Brücke zwischen den fiktiven oder historischen Figuren und den alltäglichen Erfahrungen der Kinder. Sie erkennen, dass Fehler und Rückschläge universelle Erfahrungen sind, die wichtige Gelegenheiten für Wachstum und Entwicklung bieten.
Lernen von genialen Zufallsentdeckungen
Ein weiterer Ansatz im Umgang mit Fehlern ist die Erkundung genialer Zufallsentdeckungen. Diese Methode, inspiriert von den Erzählungen im Buch „Geniale Fehler: Wie große Fortschritte aus glücklichen Fehlern und großartigen Missgeschicken entstanden“ von Mario Livio, zeigt Kindern, wie viele bedeutende Erfindungen und Entdeckungen oft das Ergebnis von Fehlern waren.
Lehrkräfte können Beispiele wie Penicillin, das durch zufällige Kontamination entdeckt wurde. Oder Teflon, das ursprünglich als Kühlmittel entwickelt wurde, in den Unterricht einbringen. Die Schüler*innen lernen, dass viele wissenschaftliche Durchbrüche nicht aus perfekten Experimenten, sondern aus unerwarteten Ergebnissen und scheinbaren Misserfolgen entstanden sind.
Diese Geschichten verdeutlichen, wie wichtig es ist, offen für unerwartete Ergebnisse zu sein und die daraus resultierenden Möglichkeiten zu erkennen. Sie motivieren Schüler*innen dazu, Fehler als potenzielle Quellen neuer Ideen und Lösungen zu betrachten. So fördern sie eine Kultur, in der die Lernenden ohne Angst vor Fehlschlägen experimentieren und lernen.
Erfolge feiern statt Fehler zählen
Ein weiterer praxisbewährter Ansatz zur Förderung von Selbstvertrauen und Fehlertoleranz im Klassenzimmer ist die Erfolgsliste, entwickelt von der Lerntherapeutin Sabine Landua. Diese Methode ermöglicht es Schüler*innen, ihre Fortschritte sichtbar zu machen. Sie konzentrieren sich auf ihre Erfolge, anstatt sich von Fehlern entmutigen zu lassen.
Lehrkräfte können diese Technik einführen, indem sie Schüler anregen, eine persönliche Erfolgsliste zu führen. In dieser Liste notieren die Schüler ihre aktuellen Leistungen und vergleichen sie mit früheren. So können sie ihre Fortschritte in bestimmten Fächern oder Fertigkeiten dokumentieren. Diese Praxis hilft ihnen, ihren Lernfortschritt objektiv zu sehen und kleine Siege zu feiern. Das ist besonders wichtig ist, um die Motivation aufrechtzuerhalten und ein positives Selbstbild zu fördern.
Die Erfolgsliste betont, dass jeder Schritt vorwärts, egal wie klein, ein Grund zum Feiern ist. Sie ermutigt die Lernenden, Herausforderungen anzunehmen, indem sie verstehen, dass Fehler Teil des Weges zu größerem Wissen und Können sind.
Könner- statt Wissenstests
Ein besonders wirkungsvoller Ansatz, um eine fehlertolerante Lernumgebung zu fördern, ist die Methode der Könnertests, die ich in der Grundschule meiner ältesten Tochter erstmals kennengelernt habe. Im Gegensatz zu herkömmlichen Wissenstests, die das vorhande Wissen zu einem festgelegten Zeitpunkt abfragen, setzt die Methode der Könnertests auf individuelle Lernfortschritte und die Fähigkeit zur Selbsteinschätzung.
Bei Wissenstests wird das Wissen der Schüler*innen oft zu einem Zeitpunkt abgefragt, der nicht das Ende ihres Lernprozesses kennzeichnet. Wenn ein Kind eine schlechte Note erhält, zeigt das nicht, dass es das Wissen grundsätzlich nicht erwerben kann, sondern lediglich, dass es zu diesem spezifischen Zeitpunkt das Gelernte noch nicht vollständig anwenden kann. Das Problem besteht dann darin, den Test als endgültiges Urteil über die Fähigkeiten des Lernenden zu betrachten, obwohl er sich noch mitten im Lernprozess befindet.
Die Könnertests hingegen ermöglichen es den Schüler*innen, ihren Lernprozess in ihrem eigenen Tempo zu gestalten. Mithilfe von Wochenplänen organisieren sie ihr Lernen weitgehend selbstständig. Jede Woche reflektieren sie gemeinsam mit der Lehrkraft ihre Fortschritte. Wenn sie das Gefühl haben, eine bestimmte Lernportion zu beherrschen, absolvieren sie die entsprechende Leistungsüberprüfung. Diese Tests zielen nicht darauf ab, Faktenwissen zu einem festen Zeitpunkt abzufragen, sondern überprüfen, ob die Schüler*innen die Lerninhalte verstanden haben und anwenden können.
Dieses flexible System nimmt den Druck von starren Prüfungsfristen und erlaubt den Schüler*innen, in ihrem eigenen Tempo zu lernen. Es macht deutlich, dass Lernen ein fortlaufender Prozess ist und Fehler Teil dieses Prozesses sind. Durch die regelmäßige Reflexion des eigenen Lernprozesses lernen die Schüler*innen, Verantwortung für ihr eigenes Lernen zu übernehmen. So wird der Fokus stärker auf die Beherrschung der Inhalte statt auf eine kurzfristige Prüfungsvorbereitung gelegt.
Könnertests schaffen somit eine Lernumgebung, die Fehler als notwendige Schritte zur Meisterung eines Themas betrachtet. Dieses System stärkt das Selbstvertrauen der Schüler*innen. Es ermutigt sie, Herausforderungen anzunehmen, ohne Angst vor negativen Folgen, selbst wenn sie noch nicht fertig mit dem Lernen sind.
Das Lupensymbol
Ein besonders kreativer Ansatz, um eine positive Fehlerkultur im Klassenzimmer zu etablieren, stammt von Caroline von St. Ange, einer bekannten Bildungsinfluencerin. Sie verwendet ein simples, aber wirkungsvolles Symbol, um Fehler auf eine konstruktive Weise zu markieren. Mit dem Bild einer Lupe richtet sie den Fokus auf den Lernprozess statt auf die bloße Fehlermarkierung.
Traditionell markieren wir Fehler in Schulheften oft rot. Das löst bei vielen Schüler*innen ein Gefühl von Scham oder Versagen aus. Caroline von St. Ange schlägt eine Alternative vor. Statt der roten Markierung zeichnen wir nun neben den Fehler ein Lupensymbol. Die Lupe steht symbolisch für das genaue Hinschauen und das Entdecken von Lernpotenzialen. Mit dieser Methode wird der Fehler nicht als Mangel, sondern als Lernchance verstanden. Also als etwas, das es zu erforschen und zu korrigieren gilt.
Sobald das Kind den Fehler erkannt und korrigiert hat, verwandelt sich das Lupensymbol in eine Sonne. Dies ist ein kraftvolles Bild für die Gewinnung neuer Einsichten. Die Sonne steht für den Moment, in dem der Fehler nicht nur beseitigt, sondern auch ein neues Verständnis entwickelt wurde. Durch diese Visualisierung wird der Korrekturprozess positiv aufgeladen. Fehler zu finden und zu beheben wird zu einem konstruktiven Akt des Lernens und nicht zu einer bloßen Korrektur.
Die Methode fördert nicht nur ein tieferes Verständnis, sondern auch das Selbstvertrauen der Schüler. Sie erleben, dass sie aktiv an ihrer Verbesserung arbeiten können. Das Lupen- und Sonnensymbol visualsiert den Lernfortschritt. Der Fehler wird als Beginn einer Entdeckungsreise betrachtet, die mit dem Erreichen neuer Erkenntnisse endet.
Für Lehrkräfte bietet diese Methode die Möglichkeit, den Umgang mit Fehlern neu zu gestalten. Statt einfach nur auf Defizite hinzuweisen, rückt der Prozess des Lernens in den Vordergrund.
In diesem Beitrag haben die beiden integrativen Lerntherpeutinnen Sabine Landua und Susanne Seyfried weitere praktische Tipps zum Umgang mit Fehlern in der Schule zusammengetragen.
Ich hoffe, dieser Artikel hat dir neue Einblicke in die Bedeutung von Fehlertoleranz vermittelt und ermutigt dich, einige der vorgestellten Strategien auszuprobieren. Teile gerne deine Erfahrungen und Gedanken in den Kommentaren. Ich freue mich darauf, von dir hören und gemeinsam ins Gespräch zu kommen.
Eine Antwort zu „7 Tipps und Strategien, um Fehlertoleranz zu entwickeln“
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Manchmal stehen wir uns mit unserer Fehlerangst selbst im Weg – das habe ich gerade wieder an mir selbst festgestellt (beim Dänisch lernen). Und woher kam bei mir diese Angst, Fehler zu machen? Weil alle sagen, Dänisch sei in der Aussprache so schwer und so stand ich mir mit meinem Perfektionismus selbst im Weg. Als mir das beim Lesen deines Artikels wieder bewusst wurde, habe ich umgehend die Gegeninitiative ergriffen, mir nochmal die Wörter zurechtgelegt und beim Bäcker einen Himbeerkuchen bestellt – natürlich habe ich bekommen, was ich wollte.
Vielen Dank für deinen wundervoll geschriebenen Beitrag und die Anregungen, die dieser mit sich bringt.
Ich bin zwar kein Superheld, aber ich werde meinen Schülern nach den Ferien von meiner Lernerfahrung berichten. Denn das Wichtigste bei der Entwicklung von mehr Fehlertoleranz ist meiner Meinung nach, ein positives Beispiel zu sein und von den eigenen Schwierigkeiten beim Umgang mit Fehlern zu erzählen.
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