Es ist ein häufiges Missverständnis, das viele davon abhält, Meditation auszuprobieren: „Ich kann nicht meditieren, weil ich einfach nicht aufhören kann zu denken.“
Wenn auch du so denkst, bist du nicht allein. In meinen Meditationskursen frage ich nach der ersten kurzen Meditation: „Wann ist der erste Gedanke bei dir aufgetaucht? Nach drei Sekunden? Oder nach fünf? Oder erst nach sieben Sekunden?“ In der Regel ernte ich erleichtertes Lachen und Aufatmen.
Viele Menschen glauben, dass effektive Meditation bedeutet, keine Gedanken zu haben. Doch diese Vorstellung ist nicht nur unrealistisch, sondern auch unnötig restriktiv. In der Meditation geht es weit weniger darum, den Geist zu leeren, als vielmehr darum, eine neue Beziehung zu unseren Gedanken aufzubauen.
Der Mythos des leeren Geistes
Die Inhalte dieses Blogartikels:
ToggleEs ist nahezu unmöglich, den Geist vollständig frei von Gedanken zu machen, denn Gedanken zu haben ist ein natürlicher und unvermeidlicher Teil des Menschseins. Medien und populäre Darstellungen tragen oft zu dem Missverständnis bei, indem sie Meditation als Zustand vollkommener Ruhe und Gedankenfreiheit präsentieren. Diese idealisierten Bilder zeigen Menschen in makelloser Kleidung, an malerischen Orten, die vollkommen friedlich und ohne sichtbare Anstrengung meditieren. Diese Darstellungen erwecken den Eindruck, dass Meditation eine Art sofortige magische Ruhe bringt, frei von jeglichen störenden Gedanken oder Emotionen.
Die Realität der Meditationserfahrung
In Wirklichkeit ist die Meditationserfahrung oft weit entfernt von diesen ästhetischen Bildern. Meditation ist keine passive Trance, sondern eine aktive Form der Geistesschulung. Es geht darum, Aufmerksamkeit zu entwickeln und zu lernen, wie wir mit dem ständigen Strom von Gedanken und Gefühlen umgehen, die das menschliche Erleben ausmachen.
Pema Chödrön, eine der bekanntesten buddhistischen Lehrerinnen, beschreibt es in ihrem Buch „Meditieren. Freundschaft schließen mit sich selbst“ folgendermaßen:
Das Denken ist so natürlich für den Geist, wie es für den Körper natürlich ist zu atmen, oder für das Herz, Blut durch die Adern zu pumpen. Wir sind nicht durch den Wunsch motiviert, Gedanken loszuwerden; wir wollen vielmehr den Geist darin schulen, sich sein natürliches Vermögen wieder anzueignen, präsent zu bleiben.
Pema Chödrön, buddhistische Lehrmeisterin
Meditation kann durchaus auch mit starken Gefühlen einhergehen, einschließlich Frustration, Unruhe oder sogar Traurigkeit, wenn tiefer liegende Emotionen an die Oberfläche kommen. Diese Erfahrungen sind jedoch keinesfalls Zeichen eines Scheiterns, sondern wichtige Teile des Prozesses, durch den wir lernen können, bewusster und mit größerer Akzeptanz mit unserem inneren Erleben umzugehen.
Die Herausforderung und die Chance der unablässigen Gedanken
Der wahre Wert der Meditation liegt nicht darin, einen leeren Geist zu erreichen, sondern darin, eine Beziehung zu den eigenen Gedanken und Gefühlen zu entwickeln, die von Neugier und Mitgefühl geprägt ist. Wenn du meditierst und feststellst, dass du von Gedanken überwältigt wirst, ist das eine wertvolle Gelegenheit. Denn jeder aufkommende Gedanke gibt dir die Chance, deine Fähigkeit zu trainieren, diesen Gedanken zu bemerken und dann sanft zu deinem Fokus zurückzukehren. Dieses „Zurückkommen“ stärkt den mentalen Muskel der Aufmerksamkeit und Präsenz, ähnlich wie das Heben von Gewichten deine physischen Muskeln stärkt.
Diese Praxis des Beobachtens, Erkennens und Loslassens hilft, die Reaktionsfähigkeit auf das, was in unserem Kopf vorgeht, zu verbessern und führt zu einer tieferen inneren Ruhe und Gelassenheit, die weit über die Meditationssitzung hinausreicht.
Praktische Strategien zum Umgang mit Gedanken während der Meditation
- Beobachte ohne Absicht, etwas verändern zu wollen: Versuche, deine Gedanken zu betrachten, als würdest du am Ufer eines Flusses sitzen und dem Wasser beim Fließen zusehen. Die Gedanken sind wie Blätter, die auf dem Wasser treiben – sie sind einfach da, ziehen vorbei, ohne dass du eingreifen musst.
- Nutze den Atem als Anker: Dein Atem ist ein mächtiges Werkzeug, um dich im gegenwärtigen Moment zu verankern. Denn Atem findet immer jetzt statt. Nicht in der Vergangenheit, nicht in der Zukunft. Wenn du merkst, dass deine Gedanken abschweifen, lenke deine Aufmerksamkeit sanft zurück zu deinem Atem. Spüre, wie die Luft ein- und ausströmt, und lass dies deine gesamte Aufmerksamkeit füllen.
- Etikettiere deine Gedanken als Denken: In einem weiteren Schritt kannst du alle deine Gedanken als „Denken“ benennen, sobald du bemerkst, dass dein Geist vom gegenwärtigen Augenblick abgeschweift ist. Nimm einfach zur Kenntnis, dass du dir eines Denkvorgangs bewusst geworden bist.
- Sei nachsichtig mit dir selbst: Freundlichkeit und Sanftheit sind ein zentraler Bestandteil der Meditation. Sei nachsichtig, wenn du dich dabei ertappst, dass deine Gedanken abschweifen. Kritik an dir selbst ist hier fehl am Platz – erkenne an, dass Ablenkung normal ist und bringe dich sanft zurück zur Meditation. Jeder Moment der Achtsamkeit ist ein Sieg über die Gewohnheit, dich von deinen Gedanken forttragen zu lassen.
- Etabliere eine Routine: Regelmäßigkeit kann Wunder wirken. Versuche, täglich zur gleichen Zeit zu meditieren, auch wenn es nur für wenige Minuten ist. Diese Konstanz baut eine Gewohnheit auf, die es leichter macht, die Praxis in deinen Alltag zu integrieren.
Indem du diese Praktiken kultivierst, entwickelst du nicht nur eine tiefere Meditationserfahrung, sondern auch die Fähigkeit, mit größerer Gelassenheit und Präsenz durch das Leben zu gehen.
Fazit
Die regelmäßige Meditation hat zahlreiche Vorteile, die weit über das Gefühl der Entspannung hinausgehen. Studien haben gezeigt, dass Meditation Stress und Angst reduzieren, die Konzentrationsfähigkeit verbessern und sogar das allgemeine Wohlbefinden steigern kann. Auf einer tieferen Ebene kann Meditation dazu beitragen, dein Selbstverständnis zu vertiefen und dir helfen, reaktive Gewohnheiten, die dich in deinem Leben zurückhalten, zu erkennen und zu ändern.
Die Vorstellung, dass du nicht meditieren kannst, weil du nicht aufhören kannst zu denken, ist eine der größten Barrieren, die es zu überwinden gilt. Meditation ist eine Praxis, die uns lehrt, unsere innere Welt mit Akzeptanz zu betrachten und eine friedvolle Koexistenz mit unseren ständigen Gedanken zu entwickeln. Es ist eine Reise, kein Ziel. Ein Prozess, kein Zustand.
Probiere es aus und entdecke selbst, wie bereichernd die Meditationspraxis sein kann! Eine Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Achtsamkeitsmeditation findest du hier:
2 Antworten zu „Den Mythos entlarven: „Meditation ist nichts für mich, denn ich kann nicht nicht denken.““
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Vielen Dank für die praktischen Strategien, die ich gerne mal ausprobieren werde, wenn meine Gedanken eigene Wege gehen 🙂 Und irgendwie ist es auch tröstlich zu lesen, dass es viele andere Menschen gibt, denen es auch nicht immer oder auf Anhieb gelingt, in der Meditation Ruhe und Entspannung zu finden.
Liebe Grüße Heike
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Liebe Heike,
es freut mich sehr, dass dir die praktischen Strategien gefallen und du sie ausprobieren möchtest! Es ist wirklich eine allgemeine Erfahrung, dass der Geist gerne seine eigenen Wege geht, besonders wenn wir versuchen, ihn zu beruhigen. Du bist definitiv nicht allein mit dieser Herausforderung.
Meditation ist oft ein Prozess, der Geduld und Übung erfordert, und es ist ganz normal, dass man nicht sofort Ruhe findet. Ich finde es auch tröstlich und wichtig, diese Tatsache zu betonen. Es geht nicht darum, perfekt zu sein oder einen Zustand der völligen Gedankenleere zu erreichen, sondern darum, den Umgang mit unseren Gedanken und Gefühlen zu lernen.
Ich wünsche dir viel Erfolg und Freude beim Entdecken deiner eigenen Meditationspraxis. Denke daran, dass jeder kleine Schritt ein Fortschritt ist und dass jede Meditationssitzung, egal wie unruhig, ihren ganz eigenen Wert hat.
Von Herzen
Pia
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