Durch Zufall bin
In ihrer Blogparade lädt Dina dazu ein, über die Frage nachzudenken, inwiefern wir – entweder durch unsere Profession oder auch als Eltern – für Kinder ein Vorbild sind oder sein möchten.
Als Entwicklungspsychologin, Sonderpädagogin, Dozentin und Achtsamkeits- und Mitgefühlstrainerin begleitet mich die Frage schon seit vielen Jahren im beruflichen Bereich. Als Mutter von drei wundervollen Kindern ist mir die enorme Verantwortung, die wir als sehr enge Bezugspersonen in der Begleitung unserer Kinder tragen, noch ein Stück mehr bewusst geworden. Ich empfinde diese Verantwortung als ein Privileg, das mir große Freude bereitet, gleichzeitig aber auch eine riesige Herausforderung darstellt.
In diesem Blogartikel möchte ich meine Gedanken und Erfahrungen zu diesem Thema mit Ihnen teilen – auf eine persönliche und nachdenkliche Art und Weise. Denn in einer Welt, in der Kinder so leicht durch Social Media, Influencer und YouTuber beeinflusst werden, wird die Frage nach realen, nahbaren und authentischen Vorbildern immer wichtiger.
Die Inhalte dieses Blogartikels:
ToggleWarum brauchen Kinder Vorbilder?
Von Anfang an lernen unsere Kinder von dem, sie in ihrem Umfeld beobachten und erfahren. Hier spielen Bezugspersonen unserer Kinder wie Eltern, Großeltern, Erzieher*innen, Lehrer*innen und weitere eine besondere Rolle. Karl Valentin sagte in diesem Zusammenhang sehr treffend:
Man braucht Kinder nicht zu erziehen. Sie machen uns sowieso alles nach.
Karl Valentin
Kinder schauen zu Erwachsenen auf und orientieren sich an ihnen. Sie lernen durch Nachahmung und Beobachtung. Vorbilder geben ihnen Orientierung und zeigen ihnen, wie man sich in der Welt zurechtfindet.
Ein wichtiges Merkmal von Vorbildern ist ihre Vertrauenswürdigkeit. Kinder sehen in ihnen Menschen, denen sie vertrauen und von denen sie lernen wollen. Sie nehmen ihre Verhaltensweisen und Werte als Leitlinien und versuchen, ihnen nachzueifern.
Vorbilder können Kindern helfen, ihre Persönlichkeit und Identität zu entwickeln. Sie sehen, welche Eigenschaften und Fähigkeiten Vorbilder besitzen und möchten diese auch für sich selbst erreichen. Dadurch können sie ihr Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl stärken.
Vorbilder zeigen Kindern auch, wie man mit Herausforderungen und Rückschlägen umgeht. Durch das Beobachten von Vorbildern können sie lernen, dass es normal ist, Fehler zu machen und dass man aus ihnen lernen kann. Sie sehen, dass auch Erwachsene manchmal scheitern, aber trotzdem weitermachen.
Darüber hinaus bieten Vorbilder Kindern eine Vielfalt an Rollenmodellen. Sie sehen, dass es verschiedene Wege gibt, um erfolgreich zu sein und Glück zu finden. Dies erweitert ihre Perspektive und hilft ihnen, ihre eigenen Interessen und Stärken zu entdecken.
Kinder profitieren auch von Vorbildern, die ihnen soziale Kompetenzen vermitteln. Durch das Beobachten von Vorbildern lernen sie, wie man die eigenen Emotionen reguliert, mit anderen Menschen interagiert, Konflikte löst und Empathie und Mitgefühl zeigt.
Letztendlich sind Vorbilder eine Quelle der Inspiration für Kinder. Sie können ihnen zeigen, dass man Träume verwirklichen kann und dass Erfolg erreichbar ist. Kinder können durch ihre Vorbilder lernen, Ziele zu setzen und hart dafür zu arbeiten.
Doch genau so können Kindern das Gegenteil lernen, nämlich dann, wenn ihre Bezugspersonen sich des Vorbildcharakters, den sie für das Kind haben, nicht bewusst sind.
Insgesamt ist die Bedeutung von Vorbildern in der Kindheit nicht zu unterschätzen. Sie beeinflussen die Entwicklung von Kindern in vielen Bereichen und tragen zu ihrer Persönlichkeitsentwicklung bei. Daher sollten wir als Eltern, Großeltern und Pädagog*innen darauf achten, uns bewusst als positive Vorbilder zu präsentieren und unseren Kindern so bestmöglich Orientierungspunkte zu bieten.
Idole und Vorbilder, Superhelden und Stars – alles dasselbe?
Mein sechsjähriger Sohn ist großer Fan von Superhelden. Fast täglich überlegt er, welcher Superheld er sein möchte und fragt mich, welche Superheldin ich sein möchte. Manchmal, wenn er müde und kuschelig ist (oder Süßigkeiten haben möchte) sagt er, Mama und Papa seien seine Superhelden.
Das freut natürlich unser Elternherz 🙂
Doch ist das eigentlich dasselbe, Vorbild und Idol? Superheld und Popstar? Als Psychologin möchte ich heute den Unterschied zwischen Vorbildern und Idolen etwas genauer beleuchten.
Vorbilder sind Personen, die uns inspirieren und dazu motivieren, bestimmte Verhaltensweisen oder Qualitäten zu übernehmen. Sie dienen uns als Orientierung und können uns auf unserem eigenen Weg unterstützen.
Idole hingegen sind Menschen, zu denen wir stark aufblicken und die wir auf vielfältige Weise bewundern. Sie verkörpern für uns Ideale, die wir gerne erreichen möchten, die aber gleichzeitig unerreichbar scheinen. Der Unterschied zwischen mir und meinem Idol scheint unüberbrückbar groß.
Während Vorbilder uns durch ihr Handeln zum Nachdenken anregen, geben uns Idole oft ein Gefühl der Bewunderung und Fantasie angesichts ihrer außergewöhnlichen Fähigkeiten oder Erfolge. Vorbilder existieren real und ihre Handlungen können aufgrund von Bewunderung oder Gemeinsamkeiten als Leitfaden für unser eigenes Verhalten dienen. Wichtig ist: Vorbilder sind vertrauenswürdig.
Idole sind hingegen oft fiktive Figuren oder Personen sind, die wir nicht persönlich kennen und zu denen wir aufgrund ihrer Leistungen oder bestimmter Eigenschaften aufsehen. Dabei muss es sich nicht zwangsläufig um tatsächliche Leistungen oder Erfolge handeln, sondern unsere Gefühle für sie werden aufgrund der Eigendarstellung dieser Personen in der Öffentlichkeit ausgelöst. Ob sie wahrhaftig sind oder nicht, werden wir in den meisten Fällen nicht erfahren.
In welchen Bereichen bin ich meinen Kindern (hoffentlich!) ein Vorbild
Als Eltern nehmen wir immer eine wichtige Vorbildfunktion im Leben unserer Kinder ein. Denn wir sind die ersten Bezugspersonen, die unsere Kinder in ihrem Leben kennenlernen. Unser Kind betrachtet uns Eltern automatisch als sicheren Hafen, von dem aus es die Welt neugierig erkunden kann.
Was sind nun die Bereiche, in denen ich Kindern und insbesondere meinen Kindern ein Vorbild sein möchte?
Kinder brauchen Vorbilder: Um Demokratie als bedeutsamen Wert kennenzulernen
Mein Mann und ich halten die Demokratie für eine der wichtigsten Errungenschaften der Menschheit und ein kostbares Gut. Seit die Kinder auf der Welt sind, machen wir keine Briefwahl mehr, sondern gehen am Wahlsonntag als ganze Familie zur Wahl. Zuvor sprechen wir beim Frühstück ausführlich über die Bedeutung und Vorteile der Demokratie. Wichtig ist uns dabei, sehr deutlich herauszustellen, dass es ein großes Privileg ist, wählen zu dürfen. Und dass das keine Selbstverständlichkeit ist. Dass es noch immer viele Menschen auf der Welt gibt, die nicht (frei) wählen gehen dürfen.
Im Anschluss an die Wahl machen wir meistens einen Familienausflug oder gehen gemeinsam essen.
Es ist sehr interessant zu beobachten, wie sich im Laufe der Jahre die Diskussionen verändern. Während das Mitbestimmungsrecht unserem Jüngsten total wichtig ist („Ich darf selbst entscheiden, wie viele Süßigkeiten ich esse, denn wir leben in einer Demokratie.“), beschäftigt sich unsere älteste Tochter (14) seit einiger Zeit sehr intensiv mit den ersten Artikeln unseres Grundgesetzes:
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Artikel 1 (1) des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland
Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt (…).
Artikel 2 (1) des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland
Sie beobachtet in ihrem persönlichen Umfeld häufig, dass diese Rechte in ihrem ganz konkreten Alltag nicht konsequent umgesetzt werden. Dass Mitschüler*innen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Religion oder ihrer sexuellen Orientierung ausgeschlossen und benachteiligt werden. Dass die freie Entfaltung der Persönlichkeit für die Peergroup nur dann in Ordnung ist, solange man sich damit einigermaßen im Mainstream befindet.
Diese Ungerechtigkeit treibt sie um. Gut so! Denn das bietet immer auch einen Anlass, um in Gesprächen und Diskussionen die eigenen Werte klarer zu erkennen und sich für sie einzusetzen.
Eine weitere Gelegenheit im Familienalltag, um über demokratische Werte zu sprechen war die Klassensprecherwahl in der Grundschule unserer mittleren Tochter: Sie hatte sich als Kandidatin für die Klassensprecherwahl aufstellen lassen und die Aufgabe erhalten, ein Wahlplakat zu erstellen.
Auch hier ging der Erstellung des Plakats eine rege Diskussion am Familientisch voraus. Wir diskutierten darüber, was die Aufgaben und Eigenschaften einer Klassensprecherin sein könnten. Schnell wurde klar, dass ein Klassensprecher, eine Klassensprecherin nicht parteiisch sein dürfte. Also gerecht und fair zu allen sein soll. Und auch, dass sie etwas für die Gemeinschaft tun sollte. Hier setzte unsere Tochter sich das Ziel, ein Klassenfest zu organisieren.
Wir sprachen auch über Bestechung, da ein anderer Kandidat seinen Mitschülern versprochen hatte, vor der Wahl Gummibärchen zu verteilen. Übrigens mit dem Argument, dass eine renommierte Partei vor der Wahl in der Stadt Rosen verteilt habe.
Meine Tochter entschied sich in unserer Diskussion dafür, keine Wahlgeschenke zu verteilen. Und wurde zur stellvertretenden Klassensprecherin gewählt.
War die Wahl gerecht? Zumindest war sie nicht ungerechter als es öffentliche Wahlen sind. Sie war jedenfalls eine herausragende Möglichkeit, an einem ganz aktuellen Beispiel aus der kindlichen Lebenswelt über Demokratie zu sprechen.
Kinder brauchen Vorbilder: Um ein Growth Mindset entwickeln zu können
Egal wo ich gearbeitet habe: Ob als Dozentin an der Uni, als Sonderpädagogin in Schulen oder in der Frühförderung, in der Beratung von Eltern oder nun in meiner eigenen Praxis für kontemplative Psychologie – immer lag meiner Arbeit die Überzeugung von Wachstumsdenken zugrunde.
Immer, wenn mir eine Studentin, eine Mutter in der Elternberatung, eine Klientin oder auch meine eigenen Kinder sagen: „Ich kann das nicht.“ antworte ich mit: „Du kannst es noch nicht.“
Es ist wirklich jedes Mal wieder erstaunlich, welchen Unterschied dieses kleine Wörtchen „noch“ macht. Es bedeutet eine gedankliche Öffnung. Eine Öffnung für Möglichkeiten.
Erinnern Sie sich an das Sprichwort:
Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.
Dieser Glaubenssatz steckt tief in so vielen von uns und leider unterstützt unser Schulsystem diese Annahme von einem sogenannten fixen Mindset enorm. Schon in der Grundschule hört man – nicht immer, aber viel zu häufig – Lehrkräfte wie Eltern sagen:
„Mathe, ach, das ist einfach nicht so Mathildas Ding. Da kommst sie auf ihre Mutter.“
„Der Emil war noch nie so sportlich.“
„Paul hat überhaupt kein Rhythmusgefühl und trifft keinen Ton. Er ist einfach unmusikalisch.“
Damit vermitteln wir Kindern, dass Intelligenz und Talent angeboren und unveränderbar sind. Entweder ich kann etwas sofort oder aber ich kann es eben nicht (fixes Mindset).
Hinzu kommt, dass Kinder von Alleskönnern umgeben zu sein scheinen: Die Erwachsenen, Eltern wie Lehrer*innen, können (scheinbar) alles. So jedenfalls das Bild, das Kinder häufig von Erwachsenen haben. Kinder haben selten die Gelegenheit, Erwachsene dabei zu beobachten, wie sie sich neue Fähigkeiten – auch unter Mühen – aneignen.
Auch die guten Schüler*innen scheinen alles zu können. Sehr häufig wird in der Schule neuer Stoff erklärt und im Anschluss sollen die Kinder in verschiedenen Aufgaben- und Prüfungsformaten zeigen, dass sie ihn können. Doch auf dem Weg zum Können werden sie häufig alleine gelassen. In der Regel sehen Kinder nicht, was andere Kinder tun, um sich Wissen und Fähigkeiten anzueignen. Sie sehen nur das Ergebnis, im schulischen Bereich meist in Form von Noten. So wird Schule im Bewusstsein unserer Kinder zu einem Ort des Könnens statt einem Ort des Lernens.
Dabei wissen wir schon lange um die Neuroplastizität des menschlichen Gehirns. Damit ist die Fähigkeit unseres Gehirns gemeint, formbar zu sein und sich an die äußeren Umstände anpassen zu können.
Ja, Intelligenz und Begabung spielen eine Rolle. Aber Übung, Anstrengungsbereitschaft und Freude am Erwerb neuer Fähigkeiten sind meines Erachtens viel entscheidender für Erfolg.
Als Eltern suchen wir daher immer wieder nach Gelegenheiten, dies für unsere Kinder erlebbar und begreifbar zu machen. Wir lassen sie teilhaben an unseren eigenen Lern- und Entwicklungsprozessen. Sie erleben, dass wir regelmäßig Fort- und Weiterbildungen machen. Sie erleben, dass wir manchmal vor Herausforderungen stehen, die uns einiges abverlangen. Und dass wir uns dennoch darein fuchsen.
So haben meine Kinder sehr genau beobachtet, wie ich meine erste eigene Homepage erstellt habe. Wie ich geflucht habe, wenn etwas nicht funktioniert hat. Aber auch, dass ich drangeblieben bin und so Seite für Seite entstanden ist.
Noch unmittelbarer erleben unsere Kinder diese Haltung beim Klavierspielen meines Mannes. Eigentlich leidenschaftlicher Gitarrenspieler, bringt mein Mann sich seit einiger Zeit selbst das Klavierspielen bei. Auch hier erleben unsere Kinder, dass er diszipliniert übt. Viele Male das selbe Stück spielt, solange, bis er es fehlerfrei spielen kann. Und dass er – ebenso wie ich beim Erstellen meiner Homepage – Stolz und Freude darüber empfindet, dass er es geschafft hat!
Auch in Bezug auf ihr eigenes Lernens zeigen wir unseren Kindern regelmäßig auf, dass sich Üben und Dranbleiben lohnen. So sind unsere Reaktionen auf Noten nicht abhängig von der eigentlichen Note, die unter einem Test oder einer Klassenarbeit steht, sondern davon, ob sich unsere Kinder gut vorbereitet haben.
Kinder brauchen Vorbilder: Um die Kraft von Freundlichkeit und Großzügigkeit zu erfahren
In einer Zeit, in der die Welt uns manchmal kalt und distanziert erscheint, können wir durch unser eigenes Vorbildsein eine Welle der Freundlichkeit und Großzügigkeit entfachen. Freundlichkeit und Großzügigkeit sind eine Macht, die weit über den individuellen Moment hinausgeht. Sie dienen als Kompass und Katalysator für eine bessere Welt, die ich sowohl als Mutter als auch als Pädagogin und Therapeutin für meine eigenen Kinder, aber auch für die Menschen, mit denen ich arbeite, gestalten möchte.
Als Kind bin ich in einem kleinen Dorf im Westerwald aufgewachsen. Dort geschah, was wohl vielerorts geschieht: Am Mittagstisch wurde geredet. Über die Leute im Dorf. Über dat Jakobche, einen eigenbrötlerischen Schreiner. Über dat Schneiderhilde, das alte Klatschweib. Über andere, nicht anwesende Familienangehörige.
Ich lauschte diesen Gesprächen mit zwiespältigen Gefühlen: Einerseits war ich neugierig und auch froh, dass meine eigenen Vergehen nicht im Mittelpunkt des Gesprächs standen. Andererseits spürte ich schon früh die Doppelmoral, die dieser Art von Gesprächen innewohnt. Irgendwann in meiner Jugend erkannte ich, dass diese Art des Sprechens nicht nur schädlich für diejenigen ist, über die gesprochen wird, sondern auch für diejenigen, die sprechen.
Die Macht der Worte erstreckt sich weit über den Moment hinaus, in dem sie ausgesprochen werden. Wir alle wissen, wie schmerzhaft und andauernd Verletzungen durch Worte sein können. Egal, ob sie unbedacht oder mit verletzender Absicht ausgesprochen wurden.
Unsere Sprache formt nicht nur unsere Realität, sondern sie hat auch einen tiefgreifenden Einfluss auf die Denkweise unserer Kinder. Indem wir uns bemühen, bewusst und respektvoll über andere zu sprechen, geben wir ihnen ein Modell für eine positive, respektvolle und unterstützende Kommunikationskultur.
Sei freundlich zu den Menschen. Du weißt nicht, was sie erlebt haben. Jedes Verhalten ist subjektiv sinnvoll. Sei großzügig, besonders im Verzeihen.
Pia Hübinger
Diese Haltung möchte ich meinen Kindern mit auf ihren Lebensweg geben. Und ich hoffe sehr, sie durch mein eigenes Verhalten zu verkörpern.
Dabei ist Freundlichkeit für mich weit mehr als nur eine Fassade, um anderen zu gefallen. Es geht nicht darum, zum People pleaser zu werden oder eigene Bedürfnisse hintenanzustellen. Es geht vielmehr darum, Freundlichkeit als innere Haltung zu kultivieren. Wir können unsere Meinungen und Bedürfnisse freundlich und gleichzeitig bestimmt vertreten. Freundlichkeit bedeutet nicht, sich selbst aufzugeben, sondern eine Brücke zu bauen, die Verständnis und Respekt fördert.
In Konfliktsituationen zwischen den Geschwistern versuche ich immer, beide Seiten in den Blick zu nehmen und anzuhören. Jedes Kind bekommt die Gelegenheit, seine Wahrnehmung zu schildern, während das andere am Streit beteiligte Kind zuhört. Jedes Kind wird ermutigt, seine Gefühle und Bedürfnisse zu schildern. So gelingt der Schritt zum Perspektivenwechsel immer besser.
Großzügigkeit ist eine weitere Schlüsselkomponente, die eng mit Freundlichkeit einhergeht. Unser Haus ist ein offenes Haus, in dem die Freund*innen unserer Kinder ebenso willkommen sind wie deren Eltern und unsere eigenen Freund*innen.
Ist das häufig laut und trubelig und mit Chaos verbunden? Ja, definitiv! Aber die Freude, die aus den damit verbundenen Begegnungen heraus entsteht, wiegt all das locker auf.
Ein weiteres Beispiel für unser Anliegen, Großzügigkeit im Alltag zu praktizieren, ist die Aufnahme von internationalen Gästen. So öffneten wir in diesem Jahr unsere Türen für drei französische Austauschschüler*innen, da es an deutschen Gastfamilien mangelte. Das war durchaus mit Aufwand verbunden, aber es war dennoch ein großer Gewinn für uns als Familie.
Ein Herzensanliegen ist mir auch, großzügig im Verzeihen zu sein. Wenn unsere Kinder erfahren, dass wir bereit sind, mit lauterem Herzen zu verzeihen und nicht zu grollen oder nachtragend zu sein, lernen auch sie, anderen zu verzeihen und selbst um Verzeihung zu bitten. Vergebung ist nicht nur für den Frieden mit anderen, sondern auch für den inneren Frieden entscheidend.
Kinder brauchen Vorbilder: Um eine Haltung der Dankbarkeit entwickeln zu können
Dankbarkeit ist eine der wertvollsten Eigenschaften, die wir unseren Kindern vermitteln können. Sie hilft uns dabei, das Leben in all seinen Facetten zu schätzen. Gleichzeitig stärkt das Gefühl von Dankbarkeit die Bindung zu anderen Menschen.
Dankbarkeit braucht Wachheit. Diese Wachheit lässt uns erkennen, was wir oft als selbstverständlich erachten. Jeder Atemzug, der von alleine geschieht, ganz ohne unser aktives Zutun. Das Wunderwerk des menschlichen Körpers. Die oft atemberaubende Schönheit und die großzügige Fülle und Kraft der Natur. Die erstaunliche Regenerationsfähigkeit unserer Erde. Emotionen wie Staunen, Freude, Liebe, aber auch Dankbarkeit, die uns beflügeln. Die Erfahrung von Mitmenschlichkeit.
Jeden Abend vor dem Zubettgehen teilen wir als Familie drei Dinge, für die wir an diesem Tag dankbar sind. Dieser einfache Akt erinnert uns daran, die positiven Aspekte unseres Lebens zu schätzen. Es können kleine Dinge sein, wie die warme Sonne, die heute schien, besondere Erlebnisse, wie zum Beispiel das gestrige Martinsfest oder größere Dinge wie das Erleben von Freundschaft und Zusammenhalt.
Durch dieses tägliche Ritual erleben unsere Kinder Dankbarkeit als Nährstoff für positive Emotionen. Wenn wir uns auf die Dinge konzentrieren, für die wir dankbar sind, fördert dies die Ausschüttung von Glückshormonen wie Dopamin und Serotonin, was zu einem gesteigerten Gefühl der Freude führt. Dies wird durch das Abendritual direkt erfahrbar.
Dankbarkeit und Achtsamkeit gehen Hand in Hand. Wenn wir achtsam sind, können wir die vielen Dinge um uns herum besser wahrnehmen, die es wert sind, geschätzt zu werden. So lenken wir unsere Aufmerksamkeit weg von dem, was fehlt, hin zu dem, was wir bereits haben. Dieser Perspektivwechsel schafft Raum für Freude und Zufriedenheit im gegenwärtigen Moment.
Ich versuche, meine Kinder zu ermutigen, sich ihre Fähigkeit zu bewahren, in der Gegenwart zu leben und die kleinen Freuden des Lebens zu erkennen. Kinder sind Meister*innen darin, doch die Anforderungen im Außen erfordern häufig, dass wir unseren Blick mehr auf die Vergangenheit oder auf die Zukunft richten. Als Erwachsene müssen wir dann mühsam lernen, wirklich den gegenwärtigen Augenblick bewusst wahrzunehmen.
Aus meiner Sicht ist Dankbarkeit eine der wertvollsten Gaben, die wir unseren Kindern machen können. Wenn sie lernen, die Schönheit und Fülle im Leben zu schätzen, sind sie auf dem besten Weg, glückliche, erfüllte Erwachsene zu werden. Und während ich versuche, meinen Kindern ein Vorbild zu sein, finde ich selbst immer wieder Gründe, dankbar zu sein. Ganz besonders für jedes einzelne meiner Kinder und für die Möglichkeit, zu wachsen und zu lernen, während ich an ihrer Seite gehe und sie auf ihrem Weg begleite. Dass sie das verinnerlichen, ist mir ein Herzensanliegen. Deshalb sage ich es ihnen täglich.
Gelingt es mir immer, ein Vorbild zu sein?
Nein. Das gelingt mir nicht immer. Und auch wenn ich manchmal damit hadere, so bin ich doch davon überzeugt, dass bereits unsere Absicht entscheidend ist. Kinder brauchen Vorbilder. Das ist richtig. Aber Kinder brauchen keine perfekten Erwachsenen, um sich gut entwickeln zu können.
Vermutlich wäre es sogar schädlich für ihre Entwicklung, wenn sie perfekte Eltern hätten, die immer alles richtig machen.
Wir dürfen Fehler machen. Wir dürfen mit unseren Kindern wachsen und lernen. Und damit auch Vorbild für ihr eigenes Lernen und Wachsen sein.
Und dennoch ist es gut, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, in welchen Bereichen wir unseren Kindern gerne ein Vorbild sein möchten. Denn das hängt eng mit den Werten zusammen, die wir unseren Kindern vermitteln. Ob bewusst oder unbewusst.
Wenn wir uns jeden Tag aufs Neue darum bemühen, nach unseren Werten zu leben, haben wir die einzigartige Möglichkeit, eine Welt mitzugestalten, in der Menschen gut leben können.
Es ist eine Investition in die Zukunft unserer Kinder und in die Zukunft der Gemeinschaft, die sie gestalten werden. Es ist ein Vermächtnis, das von Generation zu Generation weitergegeben wird.
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4 Antworten zu „Kinder brauchen Vorbilder!“
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Liebe Pia, was für ein Geschenk dieser Beitrag ist. Mir gefällt, wie du Vorbilder und Idole unterscheidest. Ich finde, bei den Idolen geht es ein Stück weit darum, so sein zu wollen wie sie, es geht aber auch darum, wie sie Konflikte oder Probleme lösen. Diese Gelassenheit, die da oft ausgestrahlt wird. Das beobachte ich häufiger an meiner Enkelin, wenn wir einen Paw Patrol Film schauen, dann leuchten ihre Augen besonders und der ganze Körper ist angespannt, wenn ihre Lieblingsheldin ein Problem zu lösen hat und es trotz Ängste und Zweifel und Widerständen einfach tut. Ein Geschenk sind auch die detailliert beschriebenen Beispiele, in denen du deinen Kindern ein Vorbild bist. Ganz besonders gefällt mir natürlich die Art, wie ihr Demokratie lebt. Den Wahltag als Familie so zu zelebrieren, ist einfach großartig. Das verlinke ich gern in meinem Beitrag zu 75 Jahre Grundgesetz. Herzliche Grüße Sylvia
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Liebe Sylvia,
vielen Dank für deinen wertschätzenden Kommentar. Ich stimme dir vollkommen zu: Idole faszinieren uns oft durch die Art und Weise, wie sie mit Herausforderungen umgehen, und vermitteln eine beeindruckende Gelassenheit. Deine aufmerksame, zugewandte Beobachtung deiner Enkelin beim Mitfiebern mit ihrer Lieblingsheldin berührt mich sehr. Die Welt wäre ein anderer Ort, wenn alle Kinder mit einem solch achtsamen, liebevollen Blick gesehen würden.
Es freut mich besonders, dass dir die beschriebenen Beispiele aus meinem Familienalltag gefallen haben und wie wir Demokratie leben. Tatsächlich nehmen Gespräche über demokratische Werte aktuell viel Raum in unserem Familienleben ein, weil vielfältige Erfahrungen im Klassenzimmer zeigen, dass diese keineswegs selbstverständlich sind.Daher freue ich mich auch ganz besonders für die Verlinkung in deinem Beitrag zu 75 Jahre Grundgesetz. Das ist eine große Ehre für mich. Herzlichen Dank!
Von Herzen
Pia
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Liebe Pia,
das ist ein ganz wunderbarer Artikel! Ich bin noch ganz überwältigt von den vielen lesenswerten Gedanken, die mir aus dem Herzen sprechen. Sehr gut gefallen haben mir deine Ausführungen zum Growth Mindset. Hier versuche ich meinen Schülern durch meine Formulierungen ein Vorbild zu sein. Ich bearbeite das Thema aber immer auch ganz explizit mit ihnen, um ihren Blick für das Thema zu schärfen.
Ich freue mich darauf, in weiteren Artikeln von dir zu lesen!
Liebe Grüße
Sabine-
Liebe Sabine,
ganz herzlichen Dank für deinen Kommentar!
Ja, gerade in der Schule ist es so wichtig, den Schüler*innen schon sehr früh mit auf den Weg zu geben, dass sie selbst großen Einfluss auf ihren Erfolg haben. Es ist so traurig zu hören, wenn schon junge Kinder sagen: „Das kann ich eben nicht.“.Sehr herzlich
Pia
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